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Beweiswert einer am Tag der Eigenkündigung vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

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Sabine Reich

Rechtsanwältin (Syndikusrechtsanwältin)

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Die Rechtsprechung fordert eine taggenaue Krankschreibung ab dem Tag der Zustellung der Eigenkündigung für die Dauer der Kündigungsfrist, um den Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern. Das ist nicht praxisnah!

Seit der Entscheidung des Bundesarbeitsgericht (BAG) im Jahr 2021 bestand für die Arbeitgeber beim Thema: Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit die Hoffnung auf eine realitätsnähere Einstellung des obersten Gerichts mit Einfluss auf die unteren Instanzengerichte.

Das BAG hatte den Beweiswert einer am gleichen Tag der Eigenkündigung vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist als erschüttert angesehen und dem Arbeitgeber das Recht zugestanden, in einem solchen Fall die Entgeltfortzahlung zu verweigern (siehe Artikel vom 13. September 2021 Krankschreibung ab dem Tag der Kündigung).

Diese arbeitgeberfreundliche Wertung übernahm das LAG Mecklenburg-Vorpommern in seiner Entscheidung vom 21.3.23 jedoch nicht:

Der Kläger kündigte mit Schreiben vom 29.10.2021 das Arbeitsverhältnis zum 30.11.2021 und bat um Zusendung von Zeugnis und Arbeitspapieren. Für die Zeiträume ab dem 3.11.2021 bis 17.11.2021 und 17.11.2021 bis 30.11.2021 reichte er sodann zwei Erstarbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bei der Beklagten ein. Ab dem 1.12.2021 nahm der Kläger eine Tätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber auf.

Das LAG Mecklenburg-Vorpommern sah keine Erschütterung des Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen wegen fehlender Passgenauigkeit von bescheinigter Arbeitsunfähigkeit und verbleibender Dauer des Arbeitsverhältnisses, da der Kläger nach dem Zugang der Eigenkündigung am 29.10.2021 an 2 Tagen noch Arbeitsleistungen erbracht habe. Zudem habe der Kläger keine Erstbescheinigung für die gesamte Dauer der Kündigungsfrist, sondern zwei Erstbescheinigungen mit unterschiedlichen Diagnosen eingereicht.

Diese Entscheidung ist nicht nachzuvollziehen, denn sie eröffnet in der Praxis den Weg für den Arbeitnehmer, durch 1-2 Tage Anwesenheit im Betrieb die grundsätzliche Wertung, Eigenkündigung mit behaupteter Arbeitsunfähigkeit bis zum Ablauf der Kündigungsfrist erschüttert den  Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, einfach zu unterlaufen.

Wenn bis auf die 1-2 Tage während der Dauer der Kündigungsfrist ununterbrochen keine Arbeitsleistung mehr erfolgt, sind Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit auch bei mehreren Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen durchaus angebracht, insbesondere, wenn nach Ablauf der Kündigungsfrist nahtlos eine neue Beschäftigung – natürlich in arbeitsfähigem Zustand – aufgenommen wird.

Siehe zu diesem Thema leider auch LAG Niedersachsen mit Urteil vom 08.03.2023 u.a. mit folgenden Leitsatz: Allein die Tatsache, dass ein Arbeitnehmer bis zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig krankgeschrieben ist, am unmittelbar darauffolgenden Tag gesundet und bei einem anderen Arbeitgeber zu arbeiten beginnt, erschüttert i.d.R. ohne Hinzutreten weiterer Umstände den Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht.

grosshandel-bw hofft, dass die in die richtige Richtung gehende Rechtsprechung des BAG nicht durch die Forderung der exakten Passgenauigkeit von behaupteter Arbeitsunfähigkeit und Kündigungsfrist realitätsfern ausgelegt wird. Denn der Vorteil der Erschütterung des Beweiswertes einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist, dass der Arbeitnehmer darlegen muss, an was er wie und wann erkrankt war.

Das dürfte nur in bestimmten Fällen den betroffenen Arbeitnehmern Probleme bereiten, aber genau bei diesen Arbeitnehmern sind Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit auch angebracht.

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