Eine außerordentliche Kündigung kann grundsätzlich nur innerhalb von 2 Wochen erfolgen. Solange der Sachverhalt aufgeklärt werden muss, beginnt die Frist nicht zu laufen. Hektik ist fehl am Platz, aber Eile ist geboten.
Die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist des § 626 Absatz 2 BGB für eine außerordentliche Kündigung gegenüber einem Arbeitnehmer beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und „hinreichend vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen“ hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er dieses konkrete Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Das arbeitsrechtliche Ermittlungsziel sind also nicht bis in jedes Detail ausermittelte Kenntnisse der einschlägigen Tatsachen.
Eine aktuelle Entscheidung des LAG Baden-Württemberg verdeutlicht diese Grundsätze:
Im Juni 2020 entschied das Compliance-Team der beklagten Arbeitgeberin, eine interne Untersuchung zu unterbrechen und anders als ursprünglich geplant die bislang gefundenen Untersuchungsergebnisse in einem Zwischenbericht für die Geschäftsführung der Beklagten aufzubereiten, um diese in die Lage zu versetzen, über etwaige weitere (u.a. auch arbeitsrechtliche) Maßnahmen zu entscheiden.
Später bereitete die ebenfalls von der Geschäftsführung beauftragte externe Kanzlei im September 2020 die ihrer Auffassung nach ermittelten Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers sowie weiterer 88 Personen in einem Zwischenbericht für die Geschäftsführung der Beklagten auf. Der Bericht wurde am 16. September 2020 der Geschäftsführung übergeben. Die fristlose Kündigung des Arbeitnehmers innerhalb von 2 Wochen – berechnet ab dem Tag der Kenntniserlangung des Geschäftsführers (16.9.2020) – befand das LAG Baden -Württemberg wegen Nichteinhaltung der 2 Wochenfrist für unwirksam. (LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 3.11.2021 – 10 Sa 7/21)
Auch im Falle von Compliance-Untersuchungen gegen eine Mehrzahl von Arbeitnehmern (im konkreten Fall 89) läuft die jeweilige Kündigungserklärungsfrist individuell und wird grundsätzlich nicht so lange gehemmt, bis die Untersuchungen gegenüber allen potentiell beteiligten Arbeitnehmern abgeschlossen sind.
Die Kenntnis einer nicht kündigungsberechtigten Person muss sich der Arbeitgeber für den Fristbeginn zurechnen lassen, wenn diese Person eine herausgehobene Position und Funktion im Betrieb innehat sowie tatsächlich und rechtlich in der Lage ist, den Sachverhalt so umfassend zu klären, dass mit ihrem Bericht der Kündigungsberechtigte ohne weitere Nachforschungen seine (Kündigungs-)Entscheidung abgewogen treffen kann und wenn die Verspätung, mit der er in eigener Person Kenntnis erlangt hat, auf einer unsachgemäßen Organisation des Betriebs beruht.
Die Einrichtung eines Compliance-Systems ist grundsätzlich Bestandteil einer sachgerechten Organisation. Bei Compliance-Untersuchungen muss sich aber die kündigungsberechtigte Person über den Stand der Ermittlungen regelmäßig in Kenntnis setzen lassen.
Wird nicht durch regelmäßige Kontrolle und entsprechende Auftragserteilung von der Geschäftsführung sichergestellt, dass die Ermittelnden Informationen rechtzeitig weiterleiten, kommt die Zurechnung des Wissens der Person, die in herausgehobener Position und Funktion im Betrieb tätig und mit der Aufklärung des Sachverhalts betraut war (hier: Leiter „Legal & Compliance“), in Betracht.
Denn die Einrichtung einer Compliance-Abteilung darf nicht dazu führen, dass eine Geschäftsführung im Interesse effektiver Bekämpfung von Rechtsverstößen und Schadensabwehr primär im eigenen Unternehmensinteresse ein Verfahren etabliert, das sie als Kündigungsberechtigte für eine gewisse Zeit „blind, taub und stumm” macht und in Kauf nimmt, dass Reaktionen gegenüber betroffenen Arbeitnehmern verzögert werden.
Dabei kann dahinstehen, ob das Verfahren nur mit eigenen Beschäftigten durchgeführt wird oder aber – wie vorliegend – unter Beteiligung externer Ermittler. Wird die Kenntniserlangung des Kündigungsberechtigten durch eine fehlerhafte Organisation des Betriebes verzögert, obwohl eine andere Organisation sachgemäß und zumutbar gewesen wäre, geht diese Verzögerung zu Lasten der Arbeitgeberin: Sie trägt also das spezifische Organisationsrisiko.
Was heißt das für die Praxis:
Der Kündigungsberechtigte, oft ein Mitglied der Geschäftsführung kann die Verantwortlichkeit für den Beginn der 2 – Wochenfrist einer außerordentlichen Kündigung nicht komplett aus der Hand geben. Die Einrichtung einer Complianceabteilung ist eine sinnvolle und eine sachgerechte Maßnahme insbesondere in größeren Unternehmen, aber die Geschäftsführung bleibt dennoch verantwortlich dafür, dass sie rechtzeitig und regelmäßig informiert wird. Auch die Regelung der Informationspraxis gehört zu einer sachgerechten Organisation der Geschäftsführung, ihr Fehlen stellt einen Organisationsmangel dar, der erhebliche Folgen hinsichtlich der Wirksamkeit einer Kündigung haben kann.
Wichtig ist auch, bei einer Gesamtgeschäftsführung genügt die Kenntnis eines Geschäftsführers für den Beginn der 2-Wochenfrist.