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Ist das schon Krankheit oder noch Verhalten?

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Arabel Münch

Rechtsanwältin (Syndikusrechtsanwältin)

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Wenn Fürsorgepflicht und Fehlverhalten aufeinandertreffen. Das Dilemma der möglichen Suchterkrankung im Arbeitsrecht.

Immer wieder werden Arbeitgeber mit dem Verdacht konfrontiert, dass Mitarbeiter unter Drogen- und/oder Alkoholeinfluss zur Arbeit erschienen sein könnten. Wenn diese Mitarbeiter einer gefahrgeneigten Tätigkeit nachgehen, z. B. Lagerarbeiten mit Ware von erheblichem Gewicht oder Berufskraftfahrer, ist schnell Handlungsbedarf gegeben. Doch Achtung, es kommt auf den Einzelfall an!

Im Zusammenhang mit dem Konsum von Alkohol und Drogen durch Arbeitnehmer lassen sich drei arbeitsrechtliche Kategorien unterscheiden:

1. Gesitteter bzw. maßvoller Gebrauch

Damit ist der Gebrauch von Alkohol/Drogen gemeint, der nicht zu einer Verletzung der arbeitnehmerseitigen Pflichtenlage führt, z. B. das Glas Sekt beim Geburtstag eines Arbeitskollegen, sofern kein Alkoholverbot besteht und die Person nicht in einem sicherheitsrelevanten Bereich arbeitet.

2. Alkohol-/Drogenmissbrauch

Dagegen liegt ein Drogenmissbrauch im arbeitsrechtlichen Sinne vor, wenn der Arbeitnehmer mit bzw. in Folge des Gebrauchs von Drogen oder Alkohol schuldhaft seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt und evtl. gegen ein Verbot verstößt.

3. Drogensucht

Im Einzelfall kann der Arbeitnehmer von der Droge oder dem Alkohol abhängig sein. Dann liegt eine Suchterkrankung vor. Es fehlt am steuerbaren Verhalten, dem Arbeitnehmer fehlt die Selbstkontrolle.

Es ist also zu berücksichtigen:

  • nicht hinter jedem Alkohol- oder Drogenmissbrauch steht eine Sucht,
  • umgekehrt gibt es süchtige Arbeitnehmer, die mit dem Konsum keinen Missbrauch und somit keine Pflichtverletzungen begehen.

Der Arbeitgeber kann grundsätzlich verlangen, dass seine Arbeitnehmer ihre Arbeit nüchtern antreten und beenden, da nur so eine uneingeschränkte Arbeitsfähigkeit der Arbeitnehmer während ihrer Arbeitszeit gewährleistet ist. Auch der gesetzliche Arbeitsschutz berechtigt den Arbeitgeber, den betrieblichen Drogen- und Alkoholkonsum zu unterbinden.  Der Arbeitgeber kann daher ein (absolutes) Drogen- und/oder Alkoholverbot im Betrieb in Ausübung seines Weisungsrechts gem. § 106 S. 2 GewO anordnen und dabei auch die Arbeit unter Einfluss von Drogen oder Alkohol untersagen.

Vor der Einführung derartiger Verbote sollten aber die Mitbestimmungsrechte des ggf. im Betrieb vorhandenen Betriebsrats geprüft werden, § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG (sog. Ordnungsverhalten).

Wie wirkt sich diese Abgrenzung zwischen Sucht und Fehlverhalten praktisch aus?

Das Vorliegen einer Sucht wirkt sich auf die arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen aus. Kommt es in Folge einer Sucht zu einer Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers, kann dies einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall auslösen. Im Einzelfall kann eine Sucht auch zur Folge haben, dass ein bestimmtes (Fehl-)Verhalten, z.B. Verspätungen in Folge eines Rauschs, nicht (mehr) steuerbar für den Arbeitnehmer ist. Mangels Verschuldens ist ihm dieses Fehlverhalten dann nicht vorwerfbar.

Muss ein Drogen- und Alkoholverbot unbedingt geschrieben ergehen?

Nein, auch wenn es kein geschriebenes Alkohol- und Drogenverbot gibt, kann Drogen- und Alkoholkonsum während der Arbeitszeit bzw. das Arbeiten unter Einfluss solcher Mittel zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen führen. Es kommt aber auf den Einzelfall an, denn auch ein Arbeitnehmer, der maßvoll Alkohol getrunken oder sonstige Drogen konsumiert hat, kann in der Lage sein, die ihm obliegenden Arbeitsvertragspflichten ordnungsgemäß zu erfüllen.  Jeder Arbeitnehmer ist verpflichtet, sich nicht durch den Genuss von Drogen vor oder während der Arbeitszeit in einen Zustand zu versetzen, der eine ordnungsgemäße Erfüllung der Arbeitsleistung und der arbeitsvertraglichen Nebenpflichten nicht mehr zulässt. Hier ist wieder abzugrenzen, ob noch ein gesitteter Konsum vorliegt und ob der Mitarbeiter eine gefahrgeneigte Tätigkeit verrichtet.

Beurteilungskriterien zur Gefahrenneigung der Tätigkeit:

Bei gefahrgeneigten Tätigkeiten (sog. sicherheitsrelevanter Bereich) kann bereits im Genuss geringer Mengen von Drogen/Alkohol ein pflichtwidriger Drogenmissbrauch liegen, weil damit die erforderlichen Fähigkeiten (z.B. Fahrtüchtigkeit) eingeschränkt sein können.

Folgende Tätigkeiten gelten als sicherheitsrelevant:

  •  Führen von Fahrzeugen oder selbstfahrenden Arbeitsmaschinen,
  •  Arbeiten in unmittelbarer Umgebung von Fahrzeugen oder selbstfahrenden Arbeitsmaschinen,
  •  Arbeiten an Maschinen mit ungeschützten, sich bewegenden Maschinenteilen
  •     (z.B. Kreissäge, Bohrmaschine),
  •  Umgang mit Gefahrstoffen,
  •  Elektroarbeiten,
  •  Arbeiten mit Absturzgefahr,
  •  Tätigkeiten in Leitwarten und Steuerständen,
  •  Störungsbeseitigungs- und Wartungsarbeiten.

Auch folgende Personengruppen können als Personen eingestuft werden, die eine so genannte sicherheitsrelevante Tätigkeit ausüben:

  •  Apotheker,
  •  Berufskraftfahrer,
  •  Kranführer,
  •  Lokführer.

Was wenn der Mitarbeiter die Drogen/den Alkohol in seiner Freizeit konsumiert hat?

Der Konsum von Drogen außerhalb der Arbeitszeit ist arbeitsrechtlich nur dann relevant, wenn sich dieser nachteilig auf das Arbeitsverhältnis auswirkt. Der Arbeitnehmer muss im Zeitpunkt seiner Arbeitszeit arbeitsfähig sein, andernfalls verletzt er seine Pflichten. Daher sind Arbeitnehmer zur Unterlassung von (übermäßigem) Alkohol- und Drogenkonsum vor Beginn der Arbeit und während der Arbeitszeit verpflichtet. Mit Blick auf den Konsum von Alkohol hat das BAG bereits darauf hingewiesen, dass sich bei einer Frühschicht (Beginn hier: 5:10 Uhr) die angemessene Zeit der Alkoholabstinenz vor Dienstantritt „auf die gesamte vorangegangene Nacht bezieht“.

Können Arbeitnehmer, die unter dem Verdacht des Drogen- oder Alkoholkonsums stehen, zu einem Drogen- oder Alkoholtest gezwungen werden?

Nein, es gibt keinen Zwang beim Arbeitgeber einen Drogen- oder Alkoholtest durchzuführen. Freiwillig ist das aber zur Verdachtsentlastung möglich und sollte auch vom Arbeitgeber angeboten werden. Aber aufgrund der arbeitsvertraglichen Pflichten sind verdächtige Arbeitnehmer zur Mitwirkung an einer verdachtsabhängigen ärztlichen Untersuchung verpflichtet. Hierzu müssen Umstände vorliegen, „(…) die bei vernünftiger, lebensnaher Einschätzung die ernsthafte Besorgnis begründen, bei dem betreffenden Arbeitnehmer könne eine Alkohol- bzw. Drogenabhängigkeit vorliegen.“ Eine Untersuchungspflicht besteht jedenfalls dann, wenn mit einer bestehenden Alkohol-/Drogenabhängigkeit besondere Gefahren für Leib und Leben oder kostspielige Wirtschaftsgüter des Arbeitgebers verbunden sind, wie dies bei einer Tätigkeit im sicherheitsrelevanten Bereich regelmäßig der Fall ist.

Was passiert, wenn der Mitarbeiter sich der Mitwirkung verweigert?

Eine unberechtigte Verweigerung der Mitwirkung beinhaltet regelmäßig ein schuldhaftes Fehlverhalten in Bezug auf die Mitwirkungspflichten, das sogar eine verhaltensbedingte außerordentliche fristlose Kündigung rechtfertigen kann (ggf. sind vorherige Abmahnungen erforderlich). Das setzt voraus, dass der Arbeitnehmer zuvor – nachweislich – zur Mitwirkung konkret aufgefordert wurde. Die arbeitnehmerseitige Verweigerung der Mitwirkung an einem vom Arbeitgeber angebotenen Entlastungstest kann als erhebliches Indiz für das Vorliegen eines Drogenmissbrauchs gewertet und im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigt werden.

Übrigens: Die Kosten der Untersuchung trägt in der Regel der Arbeitgeber, die Dauer der Untersuchungszeit ist regelmäßig nicht vergütungspflichtig, da es vor allem dem Interesse des Arbeitnehmers entspricht, seine Arbeitsfähigkeit nachzuweisen.

Handlungsempfehlung bei Alkohol- oder Drogenmissbrauch:

1. Beschäftigungsverbot

Der Arbeitgeber darf Arbeitnehmer, die aufgrund einer Alkoholisierung oder sonstigen Drogenkonsums erkennbar nicht in der Lage sind, ihre Arbeit ohne Gefahr für sich oder Andere auszuführen, nicht beschäftigen. Der Arbeitnehmer muss unverzüglich vom Arbeitsplatz entfernt werden und erhält für die nicht geleistete Arbeit in der Regel auch keine Vergütung.

2. Dokumentation

Aus Arbeitgebersicht ist zu empfehlen, zunächst unverzüglich – unter Hinzuziehung von Zeugen – die Tatsachen zu dokumentieren, die den Verdacht der Alkoholisierung bzw. des Drogenkonsums begründen und dazu ein Protokoll zu erstellen, z.B. Ausfallerscheinungen (schwankender Gang, Hinfallen, Lallen).

3. Anhörungsgespräch/Personalgespräch

In vielen Fällen ist eine Verdachtskündigung mit vorheriger Anhörung ratsam. Jedenfalls sollte ein Personalgespräch geführt werden. Bestreitet der Arbeitnehmer den Vorwurf sollte dem Arbeitnehmer – soweit möglich – ein Entlastungstest angeboten werden. Verweigert der Arbeitnehmer den Test, ist er unter Fristsetzung zu einem medizinischen Nachweis (z.B. Langzeitwerte im Blutbild) aufzufordern und der Arbeitnehmer ist bei fortbestehendem Verdacht unbezahlt von der Arbeit zu entfernen. Dabei ist für einen sicheren Heimweg des Arbeitnehmers zu sorgen (ggf. Taxi rufen). Ggf. sollte der Arbeitnehmer ergänzend schriftlich zum Verdacht des Drogen- bzw. Alkoholmissbrauchs im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis angehört werden.

Gibt der Arbeitnehmer hingegen ein Suchtproblem zu, greifen die Grundsätze der personenbedingten Kündigung. Der Arbeitnehmer ist zu einer Therapie aufzufordern. Hierzu sollte ihm eine Frist gesetzt werden, innerhalb derer er sich um einen Therapieplatz bemühen und diesen nachweisen muss. In der Regel wird dies ein Fall des Entgeltfortzahlungsgesetzes sein.

4. Kündigungsrechtliche Konsequenzen

Verstreicht die gesetzte Frist zur Stellungnahme bzw. zum Vortrag entlastender Tatsachen (z. B. Langzeitblutwerte), kann ggf. eine Kündigung auszusprechen sein.

Legt der Arbeitnehmer aussagekräftige Nachweise dafür vor, dass er keinen Alkohol- oder Drogen konsumiert hat, sind regelmäßig keine weiteren arbeitsrechtlichen Schritte einzuleiten

Die Einordnung der einzelnen Sachverhalte ist häufig sehr komplex. Dieser Artikel soll nur zur Orientierung dienen und stellt keine Rechtsberatung dar. Wenden Sie sich im Einzelfall bitte an das Team von grosshandel-bw.

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