Landesweite, pandemiebedingte Betriebsschließungen stellen kein Betriebsrisiko des Arbeitgebers dar. Es greift der Grundsatz: Ohne Arbeit kein Lohn.
Während der Coronawellen gab es einige Betriebe, die ihr Ladengeschäft schließen mussten, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Insbesondere Kundenverkehr wurde durch behördliche Vorgaben eingeschränkt. Viele Arbeitgeber führten daraufhin Kurzarbeit für ihre Beschäftigten ein. Minijobber ohne Sozialversicherungspflicht erfüllten allerdings nicht die persönlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld. Eine geringfügig Beschäftigte klagte daraufhin ihre Vergütung über mehrere arbeitsgerichtliche Instanzen ein.
Generell schuldet in einem Arbeitsverhältnis der Arbeitnehmer sein Tätigwerden und der Arbeitgeber ist im Gegenzug zur Zahlung der vereinbarten Vergütung verpflichtet. Kann der Arbeitnehmer für den Arbeitgeber nicht tätig werden, kommt es meist darauf an, ob die Ursache dafür in der Sphäre des Arbeitnehmers oder des Arbeitgebers liegt. Bei Krankheit fehlt es z. B. an der Arbeitsfähigkeit (Sphäre des Arbeitnehmers) und es greifen die Regelungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes. Was gilt, wenn der Arbeitgeber die angebotene Tätigkeit eines arbeitsfähigen Arbeitnehmers aber nicht annehmen kann?
Die Arbeitnehmerin argumentierte im vorliegenden Fall, dass sie arbeitsfähig und arbeitswillig gewesen sei. Die Schließung des Betriebs aufgrund behördlicher Anordnung sei ein Fall des vom Arbeitgeber zu tragenden Betriebsrisikos.
Das Betriebsrisiko ist das Risiko der Lohnzahlung bei einem Arbeitsausfall infolge von Störungen, die weder durch den Arbeitgeber noch durch den Arbeitnehmer verschuldet sind. Bekannte Ereignisse, die vom Betriebsrisiko erfasst werden, sind Unterbrechungen der Strom- oder Gasversorgung, Mangel an Rohstoffen, Brand einer Fabrik, Bruch einer Maschine, Überschwemmung oder übermäßiger Frost. Davon zu unterscheiden ist das Wirtschaftsrisiko. Wenn die Fortsetzung des Betriebs wegen Auftrags- oder Absatzmangels wirtschaftlich sinnlos wird, spricht man vom Wirtschaftsrisiko. Dabei gerät der Arbeitgeber bei Nichtbeschäftigung der Arbeitnehmer in Annahmeverzug und hat die Vergütung entsprechend zu zahlen.
Die Richter in den einzelnen Instanzen stellten sich nun die Frage, ob im Zuge der Maßnahmen zur Bekämpfung einer Pandemie der Arbeitgeber verpflichtet ist, bei behördlicher Schließung des Betriebs den Lohn fortzuzahlen. In den beiden ersten Instanzen verlor der Arbeitgeber und wurde zur Nachzahlung der Vergütung verpflichtet. Der Arbeitgeber habe weiterhin das wirtschaftliche Risiko des Einsatzes seiner Arbeitnehmer zu tragen. Auf ein Vertretenmüssen, also die „Schuldfrage“ des Arbeitgebers, komme es nicht an.
Die Entscheidung des BAG überrascht aufgrund der einheitlichen, arbeitnehmerfreundlichen Vorentscheidungen. Die Richter in Erfurt gaben dem Arbeitgeber Recht. Der Arbeitgeber trägt das Risiko des Arbeitsausfalls nicht, wenn – wie hier – zum Schutz der Bevölkerung vor schweren und tödlichen Krankheitsverläufen infolge von SARS-CoV-2-Infektionen durch behördliche Anordnung in einem Bundesland die sozialen Kontakte auf ein Minimum reduziert und nahezu flächendeckend alle nicht für die Versorgung der Bevölkerung notwendigen Einrichtungen geschlossen werden. In einem solchen Fall realisiere sich nicht ein in einem bestimmten Betrieb angelegtes Betriebsrisiko, so das BAG. Die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung sei vielmehr Folge eines hoheitlichen Eingriffs zur Bekämpfung einer die Gesellschaft insgesamt treffenden Gefahrenlage. Es sei Sache des Staates, gegebenenfalls für einen adäquaten Ausgleich der den Beschäftigten durch den hoheitlichen Eingriff entstehenden finanziellen Nachteile – wie es zum Teil mit dem erleichterten Zugang zum Kurzarbeitergeld erfolgt ist – zu sorgen.
grosshandel-bw begrüßt die arbeitgeberfreundliche Entscheidung des BAG. Zwar dient das Arbeitsrecht als Arbeitnehmerschutzrecht und auch in Zukunft werden Arbeitgeber für Risiken, die den Betrieb betreffen, einstehen müssen. Eine weltweite Pandemie und entsprechende Maßnahmen für den Gesundheitsschutz haben aber nicht nur Auswirkungen für Arbeitgeber, sondern auch für Beschäftigte und den Sozialstaat. Durch die Gewährung von Kurzarbeitergeld konnte vielen Unternehmen und Mitarbeitern geholfen werden. Die Pandemie als Risiko liegt nicht allein in der Sphäre des Arbeitgebers, sondern trifft die Gesellschaft als Ganzes.