Der Arbeitgeber hat unverzüglich ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) durch-oder fortzuführen, wenn der Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres nach Abschluss eines BEM länger als sechs Wochen durchgängig oder wiederholt arbeitsunfähig erkrankt war.
Eine krankheitsbedingte Kündigung ist in der Regel unwirksam, wenn es angemessene mildere Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten gibt. Mildere Mittel können Maßnahmen wie z. B. die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereichs oder die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen – seinem Gesundheitszustand entsprechenden – Arbeitsplatz sein. Die Durchführung eines BEM ist dazu da, dass mildere Mittel als die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erkannt und entwickelt werden (siehe auch Artikel vom 14.03.2022).
Bisher gab es von der Rechtsprechung keine konkreten Vorgaben, ab welchem Zeitpunkt das BEM erstmals oder nach Beendigung eines BEM erneut durchgeführt werden muss. Es konnte und sollte laut Gesetzestext „nach 6 Wochen Arbeitsunfähigkeit innerhalb eines Jahres (12 Monate) durchgeführt werden“, es gab aber keine Sanktionen für den Arbeitgeber, wenn dieser erst viel später das BEM durchführte. Entscheidend war auch nicht, ob der Arbeitgeber z. B. 2 Jahre bis zum nächsten BEM wartete, selbst wenn sich schon innerhalb eines Jahres erneut erhebliche Krankheitszeiten angesammelt hatten. Wichtig war in jedem Fall, vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung ein aktuelles zeitnahes BEM durchgeführt zu haben. Je nach Krankheitsursache und Heilmethoden – diese hätten sich ja auch positiv auf die Genesung des Arbeitnehmers auswirken können – mussten zuvor gegebenenfalls mehrere BEM durchgeführt werden. Genaue Vorschriften gab es dafür jedoch nicht.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat nun in einem jetzt veröffentlichten Urteil vom 18.11.2021 eine neue Forderung gestellt: „Um eine Sicherung des Arbeitsverhältnisses durch eine verstärkte Gesundheitsprävention zu erreichen, mit der weiteren Arbeitsunfähigkeitszeiten nach Möglichkeit vorgebeugt werden könne, ist es geboten, dass der Arbeitgeber unverzüglich tätig wird, sobald diese Schwelle (6 Wochen Arbeitsunfähigkeit) überschritten wird“.
Das war in der Rechtsprechung bisher nicht gefordert.
Neu ist:
Was heißt das nun genau?
Bisher konnte ein Arbeitgeber ohne Konsequenzen zu befürchten, durchaus länger zuwarten, bis er ein erstmaliges oder wiederholtes BEM trotz längerer krankheitsbedingter Fehlzeiten durchführte.
Ab jetzt muss der Arbeitgeber mit Nachteilen im Kündigungsschutzprozess rechnen, sollte er nicht entsprechend dem Auftreten von Krankheitszeiten ein BEM fortführen oder neu beginnen.
Ein neues BEM ist nach Beendigung des vorherigen BEM erforderlich.
Das BAG hat des Weiteren zum Erfordernis der Fortführung und Beendigung des BEM erklärt:
Aus der Entscheidung des BAG geht eindeutig die Forderung hervor, die Durchführung des BEM nicht nur als aktuelles Mittel vor Ausspruch der Kündigung im Rahmen der Interessenabwägung als erforderlich anzusehen, sondern es schon viel früher als Suchprozess für mildere Mittel als die Kündigung zu verstehen und auch frühzeitig durchzuführen. Das BEM soll dazu dienen, krankheitsbedingte Fehlzeiten auf Dauer zu reduzieren, um den Arbeitsplatz bzw. einen leidensgerechten Arbeitsplatz auf Dauer erhalten zu können.
Fazit: Künftig muss das BEM schon nach sechswöchiger Krankheitszeit (am Stück oder mit Abständen) innerhalb eines Jahres dem Arbeitnehmer angeboten werden. Bei einer regelmäßigen Durchführung dürften die Chancen auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz für den Arbeitnehmer oder eine krankheitsbedingte Kündigung für den Arbeitgeber steigen. Bei nicht ordnungsgemäßer Durchführung des BEM, wozu jetzt auch die rechtzeitige Durchführung gehört, muss der Arbeitgeber mit Nachteilen im Kündigungsschutzverfahren rechnen.
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