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Offener Brief – Groß- und Außenhandel steht vor existenzieller Bedrohung

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Angesichts der seit Wochen extrem angestiegenen Energiepreise richtet sich der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) am 15. September 2022 in einem offenen Brief an den Bundeskanzler und die Bundesregierung.

„Die Unternehmen des Groß- und Außenhandels stehen zum Teil vor einer existenzbedrohenden Situation. Die massiven Preisanstiege bei Strom-, Gas- und Sprit bedrohen das wirtschaftliche Fundament unseres Landes. Die bisherigen Entlastungspakete der Bundesregierung haben auf die schwierige Lage der kleinen und mittleren Unternehmen keine ausreichenden Antworten gegeben. Und das Grundproblem bleibt ungelöst: die fehlende bezahlbare Energie“, so Dr. Dirk Jandura, Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) zur Veröffentlichung.

„Im schlimmsten Fall droht ein Unternehmenssterben und ein massiver Verlust an Arbeitsplätzen. Wir brauchen deshalb schnelle und verlässliche Lösungen. In der jetzigen kritischen Phase wird alles benötigt, auch Atom- oder Kohlestrom, um Unabhängigkeit von Russland, Versorgungs- und Preisstabilität zu erreichen. Ein Weiterbetrieb aller noch aktiven Kernkraftwerke ist zumindest für die Dauer dieser existenziellen Krise ein Gebot der Vernunft. Parteipolitische Überlegungen müssen in diesen Monaten hintenanstehen“, so Jandura an die Politik gerichtet.

Die Forderungen an Bundeskanzler Olaf Scholz und die Bundesregierung im Einzelnen:

1. Alle verfügbaren Energiequellen müssen ans Netz!
In der jetzigen kritischen Phase wird alles benötigt, auch Atom- oder Kohlestrom, um Unabhängigkeit von Russland, Versorgungs- und Preisstabilität zu erreichen. Ein Weiterbetrieb aller noch aktiven Kernkraftwerke ist zumindest für die Dauer dieser existenziellen Krise ein Gebot der Vernunft. Parteipolitische Überlegungen müssen in diesen Monaten hintenanstehen. Bei hohen Gaspreisen und kontrollierten Strompreisen wird der Stromverbrauch tendenziell deutlich ansteigen. Gerade im Winter, wenn die Erzeugung aus Erneuerbaren Energien zurückgeht, braucht es deshalb jede Kilowattstunde, vor allem solche, die nicht mit Gas erzeugt werden. Der Gasverbrauch der energieintensiven Unternehmen mit den vielen von ihren Produkten abhängigen Firmen darf nicht gegen die Stromerzeugung in Gaskraftwerken ausgespielt werden.

2. Staatliche Energiepreisbestandteile abbauen!
Die Energiepreise müssen so schnell wie möglich von sämtlichen Steuern und Abgaben befreit werden, die nicht europarechtlich vorgeschrieben sind. Dazu gehören auch Strom- und Mineralölsteuer. Der Staat darf Energie nicht zusätzlich verteuern. Das verschärft nur die Konkurrenz im europäischen Binnenmarkt. Statt einer Aussetzung der Erhöhung wäre die Aussetzung der gesamten CO2-Bepreisung dringend notwendig.

3. Europäische Mindeststeuersätze senken!
Der Klimaschutz ist ein Ziel, dem sich die gesamte Wirtschaft verschrieben hat. Die Börsenenergiepreise haben schon jetzt eine Lenkungswirkung, die Steuern und Abgaben niemals erreichen. Daher muss sich Deutschland auf europäischer Ebene dafür einsetzen, die Mindeststeuersätze auf Energie zu senken und den Reduktionsfaktor beim EU-Emissionshandel vorläufig einzufrieren.

 4. Alle Eingriffe nur auf Zeit!
Die Energiemärkte funktionieren aktuell erkennbar nicht mehr. Daher braucht es kurzfristig Preisgrenzen, um für Ruhe und Stabilität im Energiemarkt zu sorgen. Ein solcher Eingriff ist kritisch, aufgrund der aktuellen Lage aber notwendig. Mittelfristig muss aber die Rückkehr zu einem stabilen und verlässlichen Strommarktdesign und die Rücknahme der staatlichen Eingriffe das Ziel sein. Dazu zählt auch das Abschöpfen oder die Besteuerung von sog. Zufallsgewinnen. Dauerhafte staatliche Eingriffe gefährden dauerhaft die Legitimation der Sozialen Marktwirtschaft.

 5. Alle Unternehmen brauchen Hilfe!
Die Einführung eines Kostenausgleichsmechanismus, angelehnt an das Energiekostendämpfungsprogramm, nicht nur für energieintensive Industrieunternehmen, sondern für alle kleinen und mittleren Unternehmen, ist eine sinnvolle, temporäre Überbrückungsmaßnahme. Eine Verdoppelung der Energiekosten bedeutet für viele dieser Unternehmen bereits eine existenzielle Bedrohung. Ein möglicher staatlicher Kostenausgleich muss deshalb früh greifen und darf den Eigenanteil der Unternehmen an den zusätzlichen Energiekosten nicht zu hoch ansetzen. Betroffenheit sollte anhand des Energiekostenanteils am Rohertrag, nicht am Umsatz ermittelt werden. Zugleich muss ein solcher Ausgleichsmechanismus aber auch zeitlich begrenzt werden. Wenn die normalen Marktmechanismen wieder greifen, kann und sollte sich der Staat wieder zurückziehen.

6. Unternehmenssteuern reformieren!
Die bisherigen drei Hilfspakete der Bundesregierung haben trotz eines Volumens von 95 Milliarden Euro kaum für reale Entlastungen für die Unternehmen in Deutschland gesorgt. Strukturell sinnvoller und auch günstiger wären eine grundlegende Einkommensteuer-Tarifreform sowie eine Modernisierung der Besteuerung von Unternehmen, die vor allem auch Vereinfachungen und weniger Bürokratie bringt. Die Unternehmen brauchen auch im internationalen Vergleich attraktive Rahmenbedingungen für Investitionen. Ansatzpunkte hierfür gibt es bei einer Vereinfachung der Thesaurierungsbegünstigung, der Körperschaftsteueroption und auch bei der Einfuhrumsatzsteuer mit einer Verrechnungslösung. Auch verbesserte steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten für Investitionen in Innovationen wäre ein wichtiger Fortschritt.

7. Sozialabgaben bei 40 Prozent deckeln!
Nicht nur die hohen Energiekosten lasten auf den Unternehmen. Auch die absehbar deutlich steigenden Sozialversicherungsbeiträge schaden der Wettbewerbsfähigkeit in und nach der Krise. Es ist zwar nicht leicht, aber sehr wohl möglich und vor allem dringend erforderlich, den Gesamtsozialversicherungsbeitrag trotz der demografischen Entwicklung wirksam auf 40 Prozent zu begrenzen. Dafür muss endlich ein konsequenter Reformkurs eingeleitet werden, der neben einer kritischen Überprüfung der Ausgaben auch unbequeme strukturelle Maßnahmen umfasst, wie z. B eine weitere Verlängerung der erwerbsaktiven Lebensphase.

8. Bürokratische Belastungen abbauen, Lieferkettengesetz aufheben!
Die derzeitige Krise fordert ein Umdenken in allen Politikbereichen. Dazu zählt auch, Unternehmen von Zusatzbelastungen zu befreien. Der Erhalt der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und Liquidität der mittelständischen Wirtschaft sind Grundvoraussetzungen für die Überlebensfähigkeit der Unternehmen und die Beschäftigungssicherung in der Krise. Alle bestehenden und geplanten bürokratischen Belastungen und Dokumentationspflichten müssen auf den Prüfstand um Unternehmen wirksam zu entlasten. Dazu zählt insbesondere auch das Sorgfaltspflichtengesetz (LkSG) in der Lieferkette, das sich in der jetzigen Situation und in seiner jetzigen Form krisenbeschleunigend auswirken wird. Bereits heute sind gestörte Lieferketten ein gesamtwirtschaftliches Problem, das keinesfalls zusätzlich verschärft werden darf. Das LkSG sollte aufgehoben, jedenfalls aber zeitlich verschoben werden.

Den offenen Brief finden Sie unter Downloads.

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