Muss der Arbeitgeber einen Schwerbehinderten auf die Inanspruchnahme und den drohenden Verfall seines Zusatzurlaubs hinweisen?
Nur schwerbehinderte Beschäftigte mit einer körperlichen, geistigen oder seelischen Beeinträchtigung und einem Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50 haben einen gesetzlichen Anspruch auf Zusatzurlaub. Hat der Beschäftigte einen geringeren Grad der Behinderung, hat er grundsätzlich keinen Anspruch auf Zusatzurlaub. Dies gilt ebenfalls für Beschäftigte, die einen Grad der Schwerbehinderung von 30 oder 40 haben, selbst wenn sie einem „echten“ Schwerbehinderten (50 Prozent) gleichgestellt sind.
Grundsätzlich ist der Arbeitgeber wie beim gesetzlichen Mindesturlaub verpflichtet, einen Hinweis zur Inanspruchnahme des Zusatzurlaubs bis zum Jahresende bzw. zulässigen Übertragungszeitraum zu erteilen.
Zusätzlich ist zu prüfen, ob die Schwerbehinderung möglicherweise offensichtlich war oder der Arbeitgeber aus anderen Quellen (Kollegen, Vorgesetzte) Kenntnis von der Schwerbehinderung hatte.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) geht davon aus, dass ein Beschäftigter regelmäßig dem Arbeitgeber seine Schwerbehinderteneigenschaft mitteilen würde, wenn er den Zusatzurlaub nehmen will. Unterlässt der Beschäftigte diese Mitteilung, ist der (dadurch) fehlende Hinweis des Arbeitgebers auf den Verfall des Zusatzurlaubes zum Jahresende nicht ursächlich dafür, dass der Beschäftigte den Urlaub nicht nehmen konnte (BAG vom 30.11.2021).
Der Arbeitgeber ist also nicht verpflichtet, vorsorglich und anlasslos den Beschäftigten einen Hinweis auf eventuell bestehenden Zusatzurlaub wegen 50-prozentiger Schwerbehinderung zu erteilen.
Gilt das auch beim rückwirkenden Bescheid?
Wird der dem Arbeitgeber bekannte Antrag auf Anerkennung der Schwerbehinderung zunächst durch behördlichen Bescheid zurückgewiesen und die Schwerbehinderung später aufgrund eines vom Beschäftigten eingelegten Rechtsbehelfs oder Rechtsmittels rückwirkend festgestellt, hängen Befristung und Verfall des Zusatzurlaubs vom Kenntnisstand des Arbeitgebers ab. Hat der Beschäftigte den Arbeitgeber unverzüglich über die ablehnende Entscheidung der zuständigen Behörde sowie über die (beabsichtigte) Einlegung eines Rechtsbehelfs unterrichtet, setzt die Befristung des Urlaubsanspruchs weiterhin die Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten voraus (BAG vom 26.04.2022).
Anderenfalls verfällt der Zusatzurlaubsanspruch auch ohne Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers nach § 7 Absatz III BUrlG mit Ausnahme des Urlaubs, über den der Arbeitgeber den Beschäftigten bis zur Ablehnung hätte belehrt haben müssen.
Wichtig: Der Beschäftigte muss im Prozess auf die Geltendmachung des Zusatzurlaubes konkret vortragen, weshalb, wie und wann der Arbeitgeber die Kenntnis von der Schwerbehinderung gehabt haben müsste. Ein Vortrag des Beschäftigten ins Blaue hinein genügt nicht. Dann muss im Prozess der Arbeitgeber die Unkenntnis über den Umfang des Zusatzurlaubes darlegen und ggf. beweisen!
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