Unter Corona-Bedingungen zeigte Gerhard Pfeiffer, Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, vermeidbare Fallstricke bei der betriebsbedingten Kündigung auf.
Im virtuellen Seminar „Wenn Kurzarbeit nicht ausreicht – die betriebsbedingte Kündigung aus Sicht eines Richters“ appellierte Gerhard Pfeiffer aus seiner richterlichen Praxis an die Teilnehmer, schon im Vorfeld einer betriebsbedingten Kündigung die Beratung des Arbeitgeberverbandes grosshandel-bw in Anspruch zu nehmen. Schon bei der unternehmerischen Entscheidung (erste Prüfungsstufe der betriebsbedingten Kündigung) können Fehler passieren, die auch im späteren gerichtlichen Verfahren nicht mehr korrigiert werden können. Mit der Formulierung der unternehmerischen Entscheidung kann sich ein Unternehmen selbstbinden und die Darlegungslast zur sozialen Rechtfertigung der betriebsbedingten Kündigung erheblich erschweren, wenn nicht gar unmöglich machen. Die freie unternehmerische Entscheidung wird grundsätzlich vom Gericht nur daraufhin überprüft, ob sie offensichtlich unsachlich oder willkürlich ist. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass es sich um eine freie unternehmerische Entscheidung handelt, die auf innerbetrieblichen Maßnahmen beruht, z. B. Rationalisierungs- oder Modernisierungsmaßnahmen. Wenn der Arbeitgeber sich jedoch auf außerbetriebliche Umstände z. B. Auftragsrückgang beruft, muss er einen rechnerischen Zusammenhang zwischen dem außerbetrieblichen Umstand und der Auswirkung so darstellen, dass dies eine Kündigung rechtfertigt. Dies gelingt in den seltensten Fällen. „Viel einfacher und effektiver ist die unternehmerische Entscheidung, die auf innerbetrieblichen Umständen beruht, die der Arbeitgeber steuern kann“, gab Gerhard Pfeiffer allen Teilnehmern des Online-Seminars als Tipp.
Auch die Probleme der Prüfung der Weiterbeschäftigungsmöglichkeit und der Sozialauswahl wurden mit zahlreichen Fällen aus der richterlichen Praxis gespickt, um die Problematik anschaulich darzustellen.
Wichtig war das Bewusstsein zu schaffen, dass Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten nicht nur den Betrieb betreffend geprüft werden müssen, sondern unternehmensweit und zwar unabhängig davon, ob der Arbeitsvertrag eine wirksame Versetzungsklausel enthält oder nicht. Dies hat einige der Teilnehmer des Online-Seminars überrascht, die auch die Möglichkeit hatten, im Chat Fragen zu stellen. Im Rahmen der Weiterbeschäftigungsmöglichkeit wurden Fallkonstellationen aus der Praxis besprochen. Beispielsweise wurde besprochen, wie damit umzugehen ist, wenn die Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten geringer sind, als die Anzahl der zu Kündigenden. Muss der Arbeitgeber auch freie Arbeitsplätze auf höherer oder niedrigerer Hierarchieebene anbieten, wo liegen die Grenzen? Muss einem Arbeitnehmer, der im Vorfeld geäußert hatte, eine andere Tätigkeit nicht annehmen zu wollen, trotzdem ein Änderungsangebot durch Änderungskündigung übermittelt werden? Auch hier appellierte Gerhard Pfeiffer an die Teilnehmer, sich auf eine bloße Ablehnung des Arbeitnehmers nicht einzulassen. Die Rechtsprechung verlangt, dass vor Ausspruch einer Beendigungskündigung sämtliche milderen Mittel ausgeschöpft werden. Dazu gehört auch der Ausspruch einer Änderungskündigung. Gerhard Pfeiffer, Vorsitzender am LAG Baden-Württemberg, warnte davor, dass sich im Prozess der Arbeitnehmer spätestens nach der Beratung mit seinem Prozessbevollmächtigten trotz seines vorherigen Ablehnens auf die angebotene Stelle berufen wird. Wenn der Arbeitgeber dann die Ablehnung des Änderungsangebots nicht ausreichend dokumentiert hat und daraus hervorgeht, dass der Arbeitnehmer tatsächlich „never ever“ das geänderte Angebot angenommen hätte, wird eine Beendigungskündigung scheitern.
Im Ergebnis wurde allen Teilnehmern klar, dass der Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung auch in Corona-Zeiten, trotz, während und nach erfolgter Kurzarbeit möglich ist, jedoch wichtige Punkte schon im Vorfeld weit vor dem Ausspruch der Kündigung zu beachten sind.
Gerhard Pfeiffer überzeugte einmal mehr als unterhaltsamer, das komplizierte Recht anschaulich und verständlich darstellender Referent aus der Gerichtspraxis.