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Wie gläsern ist der Stellenbewerber?

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Anna Wilhelm

Rechtsanwältin (Syndikusrechtsanwältin)

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Aufgrund aktueller Entscheidungen lohnt sich nochmals ein Blick auf das Fragerecht des Arbeitgebers und in welche AGG-Fallen man besser nicht tappen sollte.

Viele Arbeitgeber stehen im Bewerbungsprozess vor der Herausforderung, eine passende Besetzung für eine freie Stelle zu finden. Dabei spielen oft nicht nur fachliche Kompetenz, sondern auch die berühmten inneren Werte eine wichtige Rolle. Den meisten Arbeitgebern ist dabei durchaus bewusst, dass nicht jede Frage zu einer wahrheitsgemäßen Antwort führen muss. In einigen Fällen haben Bewerber das „Recht zur Lüge“. Besonders prekär wird die Situation allerdings dann, wenn die Fragen oder Aussagen des Arbeitgebers auch noch ein Indiz der Diskriminierung darstellen. Ein aussichtsreicher Bewerbungskandidat kann sich dadurch zum Gegenspieler in einer Schadensersatzklage wandeln. Auf ein paar „Diskriminierungs-Klassiker“ mit teils aktueller Rechtsprechung wird nachfolgend näher eingegangen.

 1. Religion

In einem aktuellen Urteil hat der Arbeitgeber gegen § 7 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verstoßen und eine Bewerberin aufgrund ihrer Religion mittelbar bzw. unmittelbar benachteiligt.

Ein Arbeitgeber lehnte eine Bewerberin ab, die auf dem Bewerbungsfoto sichtbar ein Kopftuch trug. In der Ablehnung gab er ihr zusätzlich den “Tipp für die Zukunft”, auf ihren “Kopfschmuck” besser zu verzichten. Sachliche Gründe für die Ablehnung konnte der Arbeitgeber im Gerichtsverfahren selbst nicht vorbringen. Ausführungen, dass es sich um einen „väterlichen Rat“ gehandelt habe, konnten nicht überzeugen. Die Höhe der Entschädigung setzt das Gericht mit 2,4 Monatsgehältern an.

Generell sind Arbeitgeber gut beraten, die Religionsfrage in ihren Bewerbungsprozessen außen vor zu lassen, da hier bei Ablehnung eines Kandidaten schnell ein Indiz für eine Benachteiligung vorliegen kann.

2. Schwangerschaft, Familienplanung und sexuelle Orientierung

Fragen, die zu weit in die Privatsphäre des Bewerbers eingreifen, sollte der Arbeitgeber ebenfalls unterlassen. Diese können schnell zu einem Indiz von Diskriminierung führen. Besonders riskant ist die Frage nach einer bestehenden oder anstehenden Schwangerschaft. Hier ist das Recht zur Lüge bereits höchstrichterlich bestätigt worden. Die Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung über eine bestehende Schwangerschaft kann durch den Arbeitgeber nicht durchgesetzt werden.

3. Behinderung oder Schwerbehinderung

Arbeitgeber trifft hier schon zu Beginn des Bewerbungsprozesses die gesetzliche Verpflichtung, nach § 164 I SGB IX zu prüfen, ob der jeweilige Arbeitsplatz mit einem schwerbehinderten Menschen besetzt werden kann. Diese Verpflichtung besteht unabhängig davon, ob der Arbeitgeber die Pflichtquote nach § 154 SGB IX erfüllt hat. Regelmäßig wird die Prüfung wohl ergeben, dass der Arbeitsplatz für schwerbehinderte Menschen geeignet ist. Ausnahmen können für bestimmte Kombinationen aus Behinderung und Tätigkeitsprofil durchaus vorliegen, z.B. der blinde Kraftfahrer. Zusätzlich muss der Arbeitgeber den Vermittlungsauftrag an die Agentur für Arbeit sicherstellen. Dafür reicht es nicht aus, dass die Stelle in die Online-Jobbörse der Agentur für Arbeit eingestellt wird.

In Bewerbungsgesprächen sollten Arbeitgeber keine Fragen zur Behinderung stellen. Selbst wenn diese durch den Bewerber offengelegt wurde, sollten Fragestellungen zur Behinderung einen objektiven Anlass haben, beispielsweise wie eine Barrierefreiheit des Arbeitsplatzes vom Arbeitgeber erreicht werden kann, wenn eine solche für den zukünftigen Arbeitnehmer notwendig wäre.

4. Vorstrafen

Beim Thema Vorstrafen spielt die zu besetzende Stelle die entscheidende Rolle. Generell kommt es darauf an, ob der Arbeitgeber ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse an der Auskunft an. Für die Buchhaltung kann also durchaus eine Frage nach Vorstrafen in Bezug auf Vermögensdelikte gestellt werden. Bei einem Kraftfahrer wird die Frage wegen Straßenverkehrsdelikten gerechtfertigt sein.

In einem aktuellen Verfahren klagte ein Auszubildender, dessen Ausbildungsvertrag wegen arglistiger Täuschung angefochten wurde. Im Bewerbungsprozess um die Ausbildung als Fachkraft für Lagerlogistik wurde die Frage nach “gerichtlichen Verurteilungen/schwebenden Verfahren” von ihm mit Nein beantwortet. Zu diesem Zeitpunkt war ihm allerdings klar, dass gegen ihn ein Strafprozess wegen Raubes anhängig war. Etwa ein Jahr nach seiner Einstellung teilte der Auszubildende seinem Arbeitgeber mit, dass er eine Haftstrafe antreten müsse und eine Erklärung benötige, dass er seine Ausbildung während seines Freigangs fortführen könne. Daraufhin wollte der Arbeitgeber den Ausbildungsvertrag wegen arglistiger Täuschung anfechten. In der ersten Instanz hatte der Arbeitgeber damit jedoch keinen Erfolg. Das Gericht führte aus, dass die Frage nach den Vorstrafen zu pauschal gestellt wurde. Selbst wenn der Zugriff auf hochwertige Vermögensgüter in der Ausbildung gegeben sei, stehe nicht jede Art von Vorstrafe oder Ermittlungsverfahren einer Ausbildung als Fachkraft für Lagerlogistik entgegen. Es ist derzeit noch offen, ob Berufung gegen das Urteil eingelegt wird.

Es lohnt sich für Arbeitgeber, einen Blick auf aktuelle Rechtsprechung in Bezug auf Diskriminierung zu werfen und diese auch im Blick zu behalten. Schadensersatzstreitigkeiten, die oft zusätzlich die Reputation eines Unternehmens gefährden können, sollten insbesondere durch eine korrekt gestaltete Stellenanzeige und das Unterlassen von zu stark in das Persönlichkeitsrecht des Bewerbers eingreifenden Fragestellungen im Vorstellungsgespräch vermieden werden.

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verwenden wir die männliche Form.
Wir meinen immer alle Geschlechter im Sinne der Gleichbehandlung.

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